Montag, 7. Januar 2019

Gedanken auf dem Weg

Über den Wolken und dem Meer 
Über den Wolken dahingleitend fliege ich an einem Sonntagmorgen im Januar 2019 in einer Boing 737 meinem Ziel entgegen: Nach einem Jahr Vorbereitung werde ich im Rahmen eines Studiensemesters für einige Monate in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten unterwegs sein.

Die hohen Berge der Alpen ragen aus den Wolkenmassen heraus. Ich sehe die Inseln im Mittelmeer unter mir. Wie viele Menschen haben mich in den letzten Tagen darauf angesprochen, dass ich ja nun bald in den Süden und damit in die Wärme fliege.
Dem ist (leider) nicht so. In Jerusalem erwarten mich im Januar die gleichen Temperaturen wie in meiner Wahlheimat Witten an der Ruhr. In Worten: vier Grad Celsius. Es ist Winter und es hat heute Nacht geregnet, wie mir meine Wetterapp verrät.
Der Irrtum über die Temperaturen scheint mir aber ein gutes Beispiel für die Irrtümer und Vorurteile über Land und Leute zu sein,- nicht nur in Israel und Palästina. Mit einigen davon konnte und musste ich in den letzten Jahren durch zahlreiche Begegnungen in Deutschland aufräumen. Weiteres wird nun vor Ort desillusioniert. Denn das ist auch ein Ziel meiner Reise. Mit Begegnungen vor Ort, Land und Menschen besser kennen zu lernen. Soweit dies zumindest möglich ist, denn die Reiseberichte anderer verraten mir schon eines: Es wird sowieso kein einheitliches Bild geben. Die Menschen sind einfach zu verschieden. Ich finde das sympathisch, denn ich liebe die Vielfalt. Und die werde ich wohl vorfinden.

Israel / Palästina erstreckt sich über sieben Klimazonen. Von der Wüste Negev im Süden über das auf 800 Meter Höhe liegende Jerusalem bis hin zu den bereits mit 30cm Höhe schneebedeckten Hängen des Hermongebirges, das bei den Golanhöhen auf 2224 Meter Höhe kommt, hält es unterschiedliche landschaftliche Reize bereit.
So vielfältig wie das Land, so vielfältig auch die Menschen. Von den inzwischen knapp 9 Millionen Einwohnern sind laut Bericht vom israelische Zentralbüro für Statistik 74, 3 % Juden, 20,9 % israelische Araber und 4,8 Bürger Israels, die als "Andere" bezeichnet werden (Stand 12/2018).
Ich bin neugierig, was das für die Christenheit heißt. Wikipedia verrät in einem anderen Artikel: "In Israel lebt eine bedeutende christliche Minderheit. Etwa 300.000 Christen leben im ganzen Land verteilt. Die meisten von ihnen sind Araber und gehören der Melkitischen Kirche an. Zu den Minderheiten gehören Kopten aus Ägypten, Aramäer und Assyrer mit je 1.000 Gläubigen und die Maroniten mit 7.000 Gläubigen."
Aus verschiedenen Berichten weiß ich inzwischen, dass es gut 120.000 aus Äthiopien ausgewanderte Juden gibt, eine Millionen Rußlandstämmige und 125.00 Drusen.
In den palästinensischen Autonomiegebieten wohnen 4,8 Millionen Menschen, 1,9 Millionen Menschen im Gaza-Streifen und knapp drei Millionen im Westjordanland. 40 tausend sind christliche Palästinenser, die sich in ihrem Selbstverständnis auf die ersten Christen zurückführen.Laut Wikipedia setzt sich die Bevölkerung im Gaza-Streifen zu 99,3 Prozent aus Muslimen und 0,7 Prozent aus Christen zusammen, im Westjordanland sind 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung Muslime, 12 bis 14 Prozent Juden und 1 bis 2,5 Prozent Christen.

Ein wahrer Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen ist das. Auch zahlreiche christliche Konfessionen sind in Jerusalem vertreten. In der Altstadt gibt es so zum Beispiel neben dem jüdischen, christlichen und moslemischen auch ein armenisches Viertel. Ganz zu schweigen von der Vielfalt der Konfessionen, die sich seit Jahrhunderten in der Grabeskirche arrangieren (müssen).
Welche Vielfalt!!! Und das ist genau der Grund meiner persönlichen Studienreise: Wie gelingt es, trotz der Vielfalt in diesem Land zu leben? Was können deutsche Gemeinden und Kirchen vom gelingendem und misslingendem Zusammenleben lernen?

Auf der Suche nach Projekten und Initiativen werde ich durch das Land
Erstes Foto vom Land ... 
reisen und Friedensdörfer, Schulen, Projekte und Gemeinden besuchen. Hier gibt es dann ab und zu Einblicke von diesen Begegnungen.
Dabei werde ich auch immer die theologische und soziologische Dimension im Blick behalten.
Vielfalt der Kulturen gab es ja bereits schon immer. Die jahrtausendealte Geschichte vom Turmbau zu Babel zeugt davon genauso wie die Geschichte der Kosmopoliten Abraham oder Paulus.
Auf ihren Spuren zu wandeln wird sicherlich genauso spannend wie auf den Pfaden Jesu, dem Grenzgänger zwischen Völkern, Altersstufen und Milieus. Er hatte keine Scheu sich mit Römer, Samaritern, dem Finanzhai Zachäus und sogar den Ausgestoßenen der Gesellschaft zu unterhalten.
"Gemeinde und Kirche in einer interkulturellen Gesellschaft", so der offizielle Titel meines Studienprojektes, das fängt im Kleinen an. Bei der Begegnung mit dem Mitmenschen, egal welcher Herkunft und welchen Glaubens.
Was verbindet die Menschen? Was trennt und wie kann die Trennung überwunden werden, so dass mit den Worten Martin Bubers gesprochen aus dem Ich und Du ein Wir wird.
Ich trete in mein Studiensemester genau mit dieser Frage, denn ich habe den Eindruck, dass ich bei meiner Suche nach Frieden und Zusammenleben sowohl dienstlich als auch persönlich da noch viel zu lernen habe.
Gott sei Dank ermutigt meine evangelische Kirche ihre Pfarrerinnen und Pfarrer in der Zeit ihres Kontaktstudiums auch in die Breite zu studieren und zu leben. Neben meinem konkreten Studienprojekt wird deshalb viel Zeit und Gelegenheit sein, sich für das weitere Berufsleben inspirieren zu lassen. Inklusive Vikariat bin ich nun seit knapp 20 Jahren im Dienst für meine Kirche, davon 13 Jahre als Gemeindepfarrer. Es ist Halbzeit in meinem Berufsleben. Mir scheint es, dass dies genau der richtige Zeitpunkt für das so genannte Sabbatical ist. Neben dem Aspekt des Studierens und Forschens freue ich mich nicht zuletzt auf diese Auszeit, weil sie Gelegenheit gibt, einmal mein Leben von außen zu betrachten und dem Hamsterrad des Alltags zu entkommen.

Wer weiß, zu welchen Erkenntnissen ich auf den Umwegen und vermeintlichen Irrwegen meiner Reise komme. Getreu dem Motto Mark Twains: „Gegen Zielsetzungen ist nichts einzuwenden, sofern man sich dadurch nicht von interessanten Umwegen abhalten lässt.“
Auf dem Weg von Witten nach Jerusalem, Branko-Christian Uhlstein, 06. Januar 2019

1 Kommentar:

  1. Eine gesegnete und spannende Zeit, viele gute Begegnungen und Bewahrung dir in diesem schönen Land. Ich bin auf deine Erfahrungsberichte gespannt. Shalom, Uli

    AntwortenLöschen

Gemeinde und Kirche in einer interkulturellen Welt - Reflexion ekklesiologischer Dynamiken im Rahmen eines Studiensemesters in Jerusalem

Gemeinde und Kirche in einer interkulturellen Welt. Reflexion ekklesiologischer Dynamiken im Rahmen eines Studiensemesters in Jerusalem Pfar...