Sonntag, 24. Februar 2019

Nes Ammim – ein Zeichen für die Völker


Eine meiner jüngsten Exkursionen im Rahmen meines Studienprojektes führte diesmal weit in den Norden, fast an die libanesische Grenze ins kleine Dorf Nes Ammim. Es wurde mir mit dem Hinweis empfohlen, dass dort eine intensive und versierte Dialogarbeit stattfindet. Das interessierte mich und so machte ich mich zusammen mit drei Pfarrkollegen, die wie ich im Rahmen von Studium in Israel unterwegs sind, auf den Weg.

„Aus Gegnern werden Freunde“, das ist in Nes Ammim, einer von Christen im Jahr 1963 gegründeten Siedlung, nicht nur Theorie. In erlebter Geschichte und gelebter Gegenwart in dem kleinen nördlich von Akko und kurz vor der libanesischen Grenze gelegenen Dorf findet Begegnung täglich praktisch statt. Und wenn es nicht gleich Freundschaften sind, die entstehen, dann wächst doch zumindest Verständnis und Respekt voreinander.
Dabei waren die Nachbarn zu Beginn der Geschichte Nes Ammims erst äußerst skeptisch. Ein drusischer Scheich hatte Anfang der 60er Jahre den Flecken Land an europäischen Christen verkauft, die aus der Schweiz, Holland und Deutschland in den nächsten Jahren in das ländlich gelegene Gebiet ziehen sollten. Nach den Erlebnissen des zweiten Weltkrieges hätten die jüdischen Bewohner einer nahen Siedlung gerne auf die neuen christlichen Nachbarn verzichtet. Diese ließen sich aber nicht entmutigen und baten beharrlich um eine Baugenehmigung für das Land, die Ihnen auf Einwirken der Nachbarn zunächst verwehrt wurde. Nicht nur die Baugenehmigung wurde mit der Zeit erteilt, sondern auch die frühen Ressentiments konnten überwunden werden. Derselbe Rabbi, der auf die Behörden einwirkte, keine Baugenehmigung zu erteilen, wurde später ein Freund und Förderer von Nes Ammim.


Historisches Luftbild von Nes Ammim
Entscheidend bei der Annäherung war es, dass die ersten Bewohner Juden von Anfang an als große Geschwister im Glauben anerkannten, von denen man über die jüdischen Ursprünge des Christentums lernen wollte. Das wurde wohl mit Erstaunen wahrgenommen und hat die Einstellung verändert. Aus Gegnern wurden so Freunde. Nes Ammim wurde über die Jahrzehnte zu einem Ort der Begegnung und des Dialoges. Zwischenzeitlich wohnten 150
Nes Ammim heute 
Personen in der christlichen Gemeinschaft. Bis Ende der 90er Jahr galt Nes Ammim durch die Gewächshäuser und die Landwirtschaft (die ersten holländischen Siedler kannten sich mit der Blumenzucht aus) als Rosendorf. Die gezogenen Blumen und die landwirtschaftliche Arbeit bildeten lange Zeit die wirtschaftliche Grundlage der Gemeinschaft. Durch neue weltweite Wirtschaftsabkommen in den 90er Jahren verlor der Betrieb seine Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeit wurde eingestellt.


Nes Ammim musste sich neu aufstellen. Eine neue Entwicklung ist die Ansiedlung von knapp 100 Einfamilienhäuser an Stelle des vormaligen landwirtschaftlichen Betriebsflächen am Rande des historischen Dorfkernes. Hier wohnen die neuen jüdischen und arabischen Nachbarn in Frieden zusammen mit den Menschen, die das christliche Werk ausmachen. Ein Hotelbetrieb, in dem sich sowohl Gruppen als auch Individualreisende einmieten können, ist heute einer der beiden Mittelpunkte des Dorfes.
Der andere ist das Leben im Village. Hier leben zurzeit 35 Personen in einer Lebens- und Dienstgemeinschaft, darunter 25 Volontäre verschiedenen Alters, die sich zwischen wenigen Monaten und mehreren Jahren ehrenamtlich vor Ort engagieren. Sie kümmern sich z.B. um den Hotelbetrieb und die Gästebereiche des Village.
Das Haus des Gebetes 
Diese Volontäre, meist aus Holland oder Deutschland stammend, begleitet Tobias Kriener, ein aus dem Rheinland stammender Pfarrer, der seit gut zwei Jahren leitend für den globalen Arbeitsbereich zuständig ist.
Mit regelmäßigen Exkursionen und Begegnungen lernen die Teilnehmenden des Volontärsprogrammes im Rahmen eines intensiven politischen
Skulptur im Haus des Gebets
Bildungsprogramms Land und Leute kennen. Er führt uns vier Kontaktpfarrer nach unserer Ankunft über das weitläufige Gelände und erklärt uns anhand der Gebäude wie dem Hotel, des Hauses des Gebetes, des Schwimmbades sowie des Bildungszentrums für die Dialogarbeit die Philosophie Nes Ammims und die doppelte Begegnungsarbeit: Zum einen kommen  Menschen aus aller Welt, die Israel kennen lernen wollen, und zum zweiten findet örtliche Dialogarbeit zwischen jüdischen und arabischen Bewohnern des Landes statt.
Nes Ammim bedeutet Zeichen für die Völker. Das Wort geht auf ein Zitat aus dem Buch Jesaja zurück (Jesaja 11, 10) und drückt die Hoffnung der Gründer aus, dass an diesem Ort und nach der Katastrophe des Holocausts etwas Zeichenhaftes wachsen möge, das zur Versöhnung beiträgt. Das Logo von Nes Ammim enthält den Fisch als Zeichen des Christentums und die Ähre als Symbol der Landwirtschaft. Bewusst wurde seit Beginn der Arbeit trotz des christlichen Hintergrundes auf offensichtliche christliche Symbole verzichtet. 
Center of Learning and Dialogiue for peace
Katja Kriener, ebenfalls rheinische Pfarrerin, verantwortet das lokale Programm des „Center of Learning and Dialogue for Peace“. Sie stellt uns verschiedene Zielgruppen vor, mit denen sie im Rahmen ihres Auftrages zusammenarbeitet.
In Dialoggruppen, dem Herzstück der Arbeit Nes Ammims, lernen sich jüdische und arabische Bewohner des Landes kennen. Dabei geht es immer auch darum, auf einer anderen Basis die Lebenswelt des anderen kennen zu lernen.
Die Begegnungen werden durch ausgebildete Faciliator (Prozessbegleiter), die sich in ihrer Vorbereitung auf ihre Aufgaben intensiv z.B. mit dem Themen Identity (Identität) und Equality (Gleichheit/ Gleichberechtigkeit) beschäftigen und als Moderatoren ausgebildet werden. Die Seminare finden auf Hebräisch und Arabisch statt.
Der Mandelbaum blüht - Zeichen der Hoffnung
Mit Ofer Lior und Taiseer Khatib führen seit neuesten zwei örtliche Experten gemeinsam als Assistenten mit jüdischen und arabischen Hintergrund auch neue Dialogprojekte mit jungen Menschen aus den umliegenden Städten und Ortschaften durch. 
So wird neben den einmaligen Begegnungen von jungen Leuten aus der Region im Rahmen von Programmen auch in regelmäßigen stattfindenden Gruppen zusammen Englisch gelernt, getanzt und vieles mehr. Im Alltag werden Brücken zwischen palästinensischen und jüdischen Kindern und Jugendlichen gebaut. In den letzten Wochen habe ich erfahren, dass dies in anderen Teilen des Landes beinahe unmöglich ist.

In der Arbeit mit Frauen werden diese im Rahmen eines „Empowerment“-Programms begleitet.

Auch externe Gruppen aus dem ganzen Land besuchen Nes Ammim gerne als neutralen Ort. Hier können die verschiedenen Narrative zusammengebracht werden.

Eine neue und ganz andere Entwicklung ist der Bau und Verkauf von knapp 100 Häusern auf den ehemaligen landwirtschaftlichen Flächen durch einen beauftragten Investor. Hier wohnen inzwischen in unmittelbarer Nachbarschaft zumeist jüdische, aber und auch einige wenige palästinensische Familien. 


Insgesamt scheint es, dass hier, weit im Norden, wo sich Juden und Araber 
scheinbar noch mehr als anderswo im Alltag begegnen, Begegnung noch leichter möglich ist. Gut, dass es solche neutralen Orte gibt, geht mir durch den Kopf.

Kollegialer Austausch in Nes Ammim
Wir genießen während unseres Aufenthaltes die Gastfreundschaft des Ehepaares Katja und Tobias Kriener und sprechen an diesem Tag viel über die scheinbar unüberbrückbaren Gräben, die nicht nur die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen durchziehen, sondern auch die palästinensische und israelische Gesellschaft. Wir sprechen über Tabus und Ressentiments bei Begegnungen, aber auch über Beispiele gelungenen Miteinanders. Das macht Mut.

Nes Ammim ist ein Werk, das weitestgehend durch Ehrenamtliche getragen wird, was ich beachtlich finde. Wer einmal für ein Kurzzeitvolontariat oder auch für ein ganzes Jahr (oder länger) mitarbeiten möchte, dem kann ich Nes Ammim nur empfehlen. Nicht nur Land und Leute können durch das Begleitprogramm  und das Mitleben und -arbeiten kennen gelernt werden. Auch der deutsch-israelische und der innerisraelischen Dialog wird durch die Programme mitgestaltet.
BCU, 22.02.2019 

Gleich um die Ecke liegt Akko
Die weiße Moschee  
Mittelalterlisches Stadttor
Bekannt auch für die Bauten aus der Kreuzfahrerzeit

Tagesausklang vor der Rückfahrt am Mittelmeer

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Gemeinde und Kirche in einer interkulturellen Welt - Reflexion ekklesiologischer Dynamiken im Rahmen eines Studiensemesters in Jerusalem

Gemeinde und Kirche in einer interkulturellen Welt. Reflexion ekklesiologischer Dynamiken im Rahmen eines Studiensemesters in Jerusalem Pfar...