Sonntag, 28. April 2019

Was für ein schrecklich schönes Land

Blick von Emmaus/Nicopolis
Die Monate meines Sabbatical mit Studienzeiten, Reisen durchs "Heilige" Land sowie zahlreichen Begegnungen gehen für mich in diesen Tagen zu Ende. Es wird Zeit, zurück zu schauen: Was habe ich nicht alles erleben dürfen! 
Seit Tagen schreibe ich an einem möglichen abschließendem Blogeintrag und merke wie ein solcher nicht wirklich gelingen will, ja auch gar nicht gelingen kann. Es fehlt nicht an Worten und Masse, die im Gegenteil für mehrere Beiträge reichen würde. Doch Worte und Sätze können nicht ausdrücken, was ich in den letzten drei Monaten erleben durfte. Deshalb an dieser Stelle nur ein abschließender kurzer Text. Demnächst dann - falls gewünscht - mehr in der persönlichen Begegnung oder beim GoBrunch am Sonntag, den 19. Mai 2019 um 11h in der Christuskirche in Witten oder anderer Gelegenheit. 

Ich schaue derweilen zurück auf Blockseminare und Seminareinheiten mit Studium in Israel zu den Themen Archäologie, Islam und zu den Orthodoxen Kirchen sowie zahlreiche Einzelvorträge von Experten vor Ort zu historischen und zeitgeschichtlichen Themen. Auf zahlreiche Andachten und Gottesdienste der christlichen Konfessionsfamilien sowie der jüdischen Synagogengemeinschaften.
Intensiv habe ich mich nicht nur in Theorie und Praxis mit rabbinischer Hermeneutik, sondern z.B. auch damit beschäftigt, wie manches hier über die Jahrhunderte historisch konstruiert wurde und wie die gegenwärtige politische und gesellschaftliche Situation vom Kampf der Narrative geprägt ist. 
Die Sephardische Ari Synagoge in Safed 
Dreimal war ich im Norden des Landes und
besuchte Städte wie Haifa, Akko oder Safed, zweimal reiste ich in den Süden bis nach Eilat. Auf den Spuren Jesu bin ich für einige Tage in Galiläa von Nazareth über Kana und den Arbel bis nach Tiberias am See Genezareth auf dem Jesustrail gewandert. Auf den Spuren Abrahams war ich mit Übernachtung in einem von Frauen geführten Haus in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Jericho und dann durchs Wadi Kelt bis zu einem Beduinendorf am Toten Meer unterwegs. Bei einem Tagestrip zur geteilten Stadt Hebron habe ich die Höhle Machpela, in der die Erzeltern begraben wurden, besucht. Heute ist
Vor dem Bau über der Höhle Machpela in Hebron
der durch Herodes über der Höhle gebaute Bau mit seiner Synagoge und seiner Moschee ein Ort der Verbundenheit und Trennung zwischen den abrahamitischen Religionen zugleich. Die Teilung des Landes habe ich auch bei einigen Ausflügen nach Jericho, Bethlehem, Beit Jala oder Beit Sahour erleben müssen. Nicht nur offensichtlich an den Checkpoints.




An drei Orten bin ich durch die herzliche Menschen besonders heimisch 
Ev-Luth. Erlöserkirche Jerusalem
geworden: In der Ev. Luth. Erlöserkirche im Herzen der Altstadt, die mir als deutschsprachige Gemeinde von Anfang an ein sicherer Hafen war und in der ich gleich zu Beginn herzlich aufgenommen wurde. Auch in der Synagogengemeinschaft Kehilat Zion, die mich für mich unerwartet als Christen herzlich in ihrer Mitte aufnahm und mir neben den Besuchen im Gottesdienst zur Begrüßung des Shabbat gerade auch durch Einladungen zu Shabbatabendessen und zum Sedermahl am Pessach außergewöhnliche Gastfreundschaft bewies. Und drittens in der griechisch-katholischen Melkitischen Kirche in Beit Sahour und Jerusalem, wo mir mit Abuna Suhail und Elias Awad zwei herzliche Freunde die Welt in die byzantinische Liturgie öffneten und das Leben einer arabischsprachigen palästinensischen Gemeinde öffneten. 

Ich habe ja intensiv über die einige der vielen Begegnungen am Wegesrand berichtet. Was für ein schrecklich schönes Land ich erleben durfte! Ein Land das nicht nur reich ist an unterschiedlichsten Naturräumen, sondern auch an einer Vielzahl von Kulturen und Lebensweisen. Ich sehe das als Gast und Freund als Gewinn und wünschte mir, dass dies auch alle Bewohner so sehen könnten. Ich weiß, dass dies für manche mehr als schwer ist. Manches Mal habe ich mit jüdischen Freunden über meine Reisen in die palästinensischen Gebiete und die Begegnungen dort gesprochen und andersherum mit palästinensischen Freunden über meine Begegnungen mit jüdischen Freunden und dabei gemerkt, mit welchem großen Interesse man mir folgte, weil diese Begegnung Ihnen zur Zeit nur schwer möglich sind.
Das Heilige Land hat viel in dieser Hinsicht zu
Blick aus der Oase En Gedi aufs Tote Meer
bieten. Ich lasse noch einmal die Landschaften vor meinen inneren Augen und beim Betrachten von Fotos an mir vorbei ziehen. Es verwundert nicht, dass die Exilanten in Babylon saßen und sangen: An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Es verwundert mich nicht, wenn Palästinensische Bewohner sagen: "Jerusalem is our". Es wundert mich nicht, wenn Christen zu den beiden Osterfeiern nach Jerusalem pilgern und stundenlang Schlange stehen, um nur 30 Sekunden im Heiligen Grab beten zu können.
Viele Menschen lieben Sehnsuchtsorte. Wie 
schön wäre es, wenn Sehnsucht und Erfüllung zusammen treffen. Nicht immer habe ich dies an den bekannten Orten erlebt, manchmal aber auch dort. Manche Orte müsste ich mir erst er“leben“. Ich hatte nach knapp 20 Jahren Dienst in meiner Kirche dankenswerter Weise Zeit, einfach einmal ein paar Stunden oder auch eine Nacht da zu sitzen, zu lesen, nachzudenken. 
Und ich hatte als Besitzer eines Deutschen Passes auch freien Zugang in alle Teile des Heiligen Lande und würde als Reisender überall gleich herzlich begrüßt.
Dabei habe ich den Eindruck nur einen großen Kosmos angekratzt zu haben. Und doch habe ich meiner Meinung nach genug gesehen, um sagen zu können, dass ich auf meiner Lebensreise einen weiteren Teil 
meiner menschlichen Familie kennen lernen durfte. Familienmitglieder, die in einem schrecklich schönen Land leben. 
Vielfalt: Eine von 400 Rosen im Jerusalemer Rosengarten
Nicht gegen  Menschen kann ich sein, sondern nur gegen Ideen von Exklusivität und Ausgrenzung. Ich bin nicht blind für all das (und kann gerne im persönlichen Gespräch über viele Beobachtungen etwas mitteilen), aber ich teile die Einschätzung von Daoud Nasser vom Tent of Nation in Beit Jala: Der gewalttätige Aufstand hat nicht zum Frieden geführt, auch nicht Verhandlungen, Resignation verbietet sich. Es bleibt also nur der vierte Weg: Der Weg der Liebe. 

Einer von vielen gegangenen Wegen
In der Synagogengemeinschaft Har-El wird im Gottesdienst am Shabbatmorgen für die Soldaten der Israelischen Armee gebetet. Zugleich wird aber darum gebeten, dass in Erfüllung geht, was der Prophet Micha gesehen hat: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ (Micha 4) 

Der Text geht noch weiter und dies ist mein abschließender Wunsch für die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Landes, die mir so viel Gastfreundschaft gewährt haben: „Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken“ (Micha 4, 4).

Bis dahin wird es sicher noch ein langer Weg sein. Ein Weg, den ich einige Monate vor Ort begleiten durfte, und den ich aus der Ferne sicher im Gebet weiter gerne mitgehe.



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